Wenn ich mit Freunden telefoniere geht uns immer schneller der Gesprächsstoff aus. Es passiert einfach viel weniger und gefühlt sitzen alle irgendwie rum und warten auf das Ende der Pandemie.
Vor nicht allzu langer Zeit habe ich noch geschrieben, dass mal ein bisschen „auf sich selbst zurückgeworfen sein“ auch ganz heilsam sein kann. Weniger Ablenkung und mehr Zeit, über sich selbst, den Sinn des Lebens und den ganzen Rest nachzudenken.
Falls man dabei zu neuen Erkenntnissen kommt, kann das wirklich hilfreich sein.
Der berühmte Arzt und Therapeut Viktor Frankl sagte dazu: „Wer ein Warum hat, erträgt fast jedes Wie.“ Dieser außergewöhnliche Mensch musste es wissen, denn er hat nicht nur die Dritte Wiener Schule der Psychotherapien begründet, sondern auch vier Konzentrationslager überlebt.
Nicht jedem ist diese unfassbare Resilienz in die Wiege gelegt worden und man bekommt sie auch nicht vom zuhause Abhängen.
Das permanente Kreisen um sich Selbst ist nicht nur ungesund, es ist auch abträglich für Gemeinsinn, Toleranz und Empathie. Ohne anregenden Austausch mit neuen Menschen verlernen wir die Fähigkeit andere Perspektiven einzunehmen und uns in andere hinein zu versetzen.
Vielleicht ist das der Grund für die immer unversöhnlicheren Positionen in der öffentlichen Debatte über den Weg aus dieser Krise.

Was mir wirklich fehlt

Der öffentliche Raum, also Kino, Theater, Bars sind auch deshalb so wertvoll, weil wir da von uns selbst abgelenkt werden. Es ist eine einfache und bewährte Vorgehensweise Abstand von uns selbst zu nehmen.
Während ich das so schreibe, merke ich erst, wie sehr es mir fehlt, einfach mal wieder richtig unter die Leute zu kommen. Alkohol trinken, Blödsinn reden, gucken wie die anderen gucken.
So wie es aussieht, wird das bald wieder besser möglich sein.
Zumindest bis zur nächsten Mutante im Herbst.
Meine Freundin hat an mir neulich auch schon leicht misanthropische Tendenzen beobachtet.
Wie schaffen wir es also in dieser schwierigen Zeit etwas Abstand von selbst zu gewinnen?
Spazierengehen ist das neue große Ding. Statt in die Bar geht’s zum Lockdown Walk. Ich mache das auch regelmäßig. Es gibt sogar eine Wissenschaft dafür: Die Promenadologie.
Beim Gehen kann das Gehirn mit den Füßen Schritt halten. Alle gewonnenen Sinneseindrücke können also auch verarbeitet werden. Wenn wir uns dagegen schneller bewegen, verarmt unsere subjektiv erlebte Realität. Das war für mich neu.
Wie Sie die Natur nutzen können, dem Warum in Ihrem Leben auf die Spur zu kommen, darüber schreibe ich demnächst.

Ehrfurcht ist wertvoll

Bewegung baut zudem das Stresshormon Cortisol ab. Das ist für viele von uns wichtig. Wenn man das Glück hat, die Berge vor der Haustür zu haben, ergibt sich noch ein weiterer positiver Effekt. Man kann Ehrfurcht empfinden. Zum Beispiel beim Anblick einer schönen Landschaft mit einem Bergmassiv wird bei mir und den meisten Menschen dieses sonderbare Gefühl ausgelöst.
Tief empfundene Ehrfurcht macht die Gedanken weit. Wir fühlen Demut und gewinnen Abstand von unseren Alltagsgedanken. Solch ein Erlebnis mit Menschen zu teilen, sich gemeinsam unbedeutend zu fühlen: Das Verbindet auch ungemein.
Da fallen mir ein oder zwei Menschen ein, die ich eigentlich mag, deren Denken aber leider Richtung Verschwörungstheorie abgedriftet ist. Vielleicht sollte ich mich mit denen mal zum Spazierengehen hier im schönen Chiemgau verabreden.
Falls Sie nicht diese Möglichkeit haben, empfehle ich ihnen mal eine schöne Naturdoku im Fernsehen anzusehen. Das kann einen ähnlichen Effekt haben.
Bleiben Sie gesund!

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