Diese Frage ergab sich aus einem sehr berührenden und inspirierenden Seminar mit Angehörigen des Indigenen Volkes der Kogi, an dem ich letzte Woche teilnehmen durfte.
Dazu später mehr.

Das Besondere an diesem Seminar war der Wissensaustausch auf Augenhöhe.
Wir haben gemeinsam geschaut, was wir voneinander lernen können.

Kernthema war Bildung im weitesten Sinne:

  • Wie hüten sie ihr uraltes Wissen und geben es an die nächste Generation weiter?
  • Wie findet traditionell das Lernen bei den Kogi statt?
  • Wie ist die Haltung der Erwachsenen zu den Kindern?
  • Welche Bedeutung hat die Natur für Bildung?
  • Wie lässt sich ihr ursprüngliches Wissen mit hiesigen Lernansätzen und Lebensweisen verbinden?
  • Wie kann Bildung ausgerichtet am Prinzip der Lebendigkeit entstehen?
  • Welche Impulse können wir durch den Kontakt mit den Kogi bekommen, um lebensfördernde Kontexte und Bedingungen in Schulen und Kindergärten zu kreieren?
  • Wie können ihre Kinder das traditionelle Wissen bewahren und gleichzeitig in Kontakt treten mit der modernen Welt?

Das war für mich eine sehr spannende Erfahrung, da ich mich bei indigenen Kulturen bisher vor allem mit spirituellen Aspekten beschäftigt habe.
Und das war dann auch gleich meine erste Lektion.

Die Kogi Kinder erhalten neben der formalen Schulbildung auch eine spirituelle Bildung. Und während hier in Bayern gerade die dritte Religionsstunde in der Grundschule auf dem Prüfstand steht. Nimmt die spirituelle Bildung bei den Kogi die Hälfte der Unterrichtszeit in Anspruch.
Jede Schule hat deshalb auch einen Mamo. So heißen die Schamanen bei den Kogis.

Die Kogi Delegation bestand folgerichtig aus Lehrern, Schülern und Schamanen.
Dadurch waren ganz besondere Einblicke in diese indigene Kultur möglich.

Wer sind die Kogi?

Die Kogi sind ein indigenes Volk, dass zurückgezogen in der Sierra Nevada de Santa Marta, an der kolumbianischen Karibikküste lebt. Von allen dort noch lebenden Indigenen sind sie das am wenigsten akkulturierte Volk.

Sie haben z.B. festgelegt, dass nur 25 Prozent ihrer Kinder die Schule besuchen dürfen, um den Einfluss formaler westlicher Schulbildung auf ihre Kultur zu begrenzen.

Als übergeordnete Stellungen innerhalb der Gesellschaft gibt es die Mamos und ihre weiblichen Äquivalente Sagas, die die Dörfer anführen. Männliche Nachkommen führen ihre Abstammungslinien von den männlichen Ahnen her, weibliche Nachkommen von ihren Müttern. Es gibt männliche Klangruppen (Beuteltier, Puma, Jaguar, Adler) und weibliche (Gürteltier, Hirsch, Pekari, Schlange), die ein System mit wechselseitiger Wirkung bilden, d. h., das männliche Tier ernährt sich vom weiblichen und genauso darf geheiratet werden: Beuteltier + Gürteltier, Puma + Hirsch usw. (Wikipedia).

Sie sind eine sozial und ökologisch hochentwickelte Kultur, die ein komplexes System von Checks und Balances entwickelt haben, um den Frieden in ihrer Gemeinschaft im Einklang mit der Natur zu sichern.
Sie berufen sich auf eine durchgehende Tradition und Überlieferung die ca. 4000 Jahre alt ist.
In Beziehung zu uns bezeichnen sie sich als die älteren Brüder und sehen uns als ihre jüngeren Brüder.
Zu Beginn des Seminars fand ich das ein bisschen lustig, am Ende nicht mehr. Denn diese Menschen haben mich mit ihrem Wissen tief beeindruckt.

Der Hauptgrund, warum sie den Kontakt mit westlichen Kulturen in einem streng begrenzten Rahmen zulassen, ist die Erkenntnis, dass es die einzige Möglichkeit ist ihr Überleben zu sichern.
Wie hart dieser Existenzkampf ist, konnte ich in diesem Seminar erfahren.

Postkoloniale Perspektiven und mein Befreiungsmoment

Die Welt in der wir leben unterscheidet sich so fundamental von der Welt der Kogis, dass es natürlich einige Culture-Clash-Momente gab. Einige lustig, andere peinlich und manche auch sehr befremdlich.

Peinlich:

Kogis benutzen Smartphones. Das brachte einen der Teilnehmenden dazu, in einer langen emotional aufgewühlten Rede vor den damit verbundenen Gefahren zu warnen. Sie würden ihre kulturellen Identität verlieren usw..
Trockene Antwort der Kogis: Danke für den Hinweis, wissen wir. Ohne Smartphones wären wir jetzt aber nicht hier.

Lustig:

In einer der Diskussionen kam unweigerlich der Begriff des Egos auf, z.B. wie sehr unsere westlichen Egos einem sinnvollen, nachhaltigen Leben entgegenstünden. Das sehe ich etwas differenzierter aber interessant war die Reaktion der Kogis.

Die Übersetzung unserer Fragen lief immer in zwei Schritten Deutsch – Spanisch – Chibcha. Der Mamo sprach nämlich kein spanisch.

Da gab es zunächst nur ratlose Gesichter, weil sie mit dem Begriff des Egos überhaupt nichts anfangen konnten. Es entspann sich eine angeregte Diskussion unter den Kogis, was dieses Ego wohl sein könnte.

Sie einigten sich auf folgende Näherung: Das Ego ist so etwas wie die Summe aller schlechten Eigenschaften eines Menschen. Guter Versuch.

Sehr befremdlich:

Bei den Kogis werden die Kinder von Anfang an sehr genau beobachtet, damit die Ältesten eine Entscheidung treffen können, welche zukünftige Aufgabe das Kind als Erwachsener in der Gemeinschaft der Kogis übernehmen kann. Falls das Kind eine Saga (Schamanin) oder ein Mamo (Schamane) werden soll, beginnt bereits im Kindesalter eine lange intensive Ausbildung die nach unseren Maßstäben an Kindeswohlgefährdung grenzt. Ich erlaube mir hier kein Urteil.

Warum bin ich überhaupt zu diesem Seminar gefahren?

Ehrliche Antwort? Weil ich eine große Sehnsucht nach einer authentischen, wahrhaftigen, naturverbundenen Spiritualität habe. Und obwohl ich genau das seit über dreißig Jahren praktiziere, bin ich fest davon ausgegangen, dass mir Indigene da um Lichtjahre voraus sind.

Und da schenkte mir der Mamo mit zwei Aussagen meinen persönlichen Befreiungsmoment. Allein dafür hat sich dieses Seminar gelohnt.

1. Das spezifische spirituelle indigene Wissen ist immer an das jeweilige Territorium gebunden. Worauf es hier bei uns ankommt, müssen wir selbst herausfinden. Die Kogis können uns dabei nicht helfen.

2. Wenn alles spirituelle Wissen an einem Ort verloren ist, braucht es vier Generationen, um das Wissen zurück zu erlangen. Wir müssen nur in die Natur gehen, lauschen, beobachten und spüren. Wobei Kinder im Vorteil sind.

Das hatte für mich etwas wunderbar Entlastendes. Ich finde also tiefere Erkenntnisse besser in den Wäldern und Bergen des Chiemgaus und eher nicht auf noch einem Seminar mit echten, authentischen Indigenen.

Daher meine Frage an Dich: Möchtest Du dabei sein und die erste Generation mitbegründen?

Um ein Gefühl für Zeithorizonte zu bekommen hilft vielleicht diese Information:
Der Mamo hat in seiner Ausbildung 30 Jahre den Wind studiert und weitere 30 Jahre die Steine.
Es braucht also etwas mehr als ein Wochenendseminar.

Nach meiner Erfahrung kann man mit dem Rif-System nach ein bis drei Jahren schon ein ganz gutes Gespür entwickeln. Vorausgesetzt Du verbringst zwischen den Seminaren viel Zeit in der Natur mit lauschen, beobachten und spüren.

Ein paar wichtige Hinweise hatte der Mamo dazu natürlich schon. Mehr dazu im nächsten Blog.